SCIENTOLOGY / Ein Bankier setzt seine finanziellen
Mittel gegen die Sekte ein
Kämpfer mit Millionen
Bob Minton tritt als unerschrockener Anwalt von mißbrauchten
Menschen auf: Er will die Folgen einer religiösen Philosophie enthüllen.
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(es könnte sich ändern)
Autor: STEPHAN STROTHE, Miami
In großen, ungelenken Buchstaben schreibt Bob Minton seine
Botschaft auf ein Pappschild: "Scientology will dein Geld und dein Leben."
Dann atmet der 51jährige Bankier einmal tief durch, überquert mit entschlossenen
Schritten die Straße und beginnt seine Ein-Mann-Demonstration - direkt
vor dem "spirituellen Zentrum" der Scientologen in Clearwater an
Floridas Westküste.
Die Sektenmitglieder bleiben hinter den Mauern des ehemaligen Luxushotels
"Fort Harrison". Aber draußen, nur wenige Meter von Bob Minton entfernt,
beobachten Scientologys "Sicherheitsbeamte" jeden Schritt des einsamen
Demonstranten. Auch das Sat-1-Kamerateam, das den Kreuzzug des Bob Minton
drei Wochen lang begleitet, ist seit der Ankunft in Clearwater ständig
im Visier der Sektensheriffs: Mit Fotoapparaten und Videokameras bewaffnet,
melden sie jede Bewegung über Walkie-talkies in die Sektenzentrale.
Wenn der Millionär Bob Minton zu einer seiner Protestaktionen startet,
herrscht bei der Scientology-Führung in Los Angeles und Clearwater Alarmstufe
eins. Denn der Mann mit der sanften Stimme und dem bescheidenen Auftreten
bekämpft Scientology gleich an mehreren Fronten: In Talkshows und mit Vorträgen,
auf der Straße und im Internet, vor allem mit seinen Millionen Dollars.
Erleuchtung durchs Internet
Bob Minton ist nicht nur mutig und entschlossen, er ist auch
reich. Der Bankier aus dem Bostoner Geldadel verdiente seine Millionen
damit, Entwicklungsländern bei der Umstrukturierung ihrer Milliardenschulden
zu helfen. Mit 46 Jahren setzte er sich zur Ruhe, kümmerte sich um seine
beiden kleinen Töchter und tummelte sich auf seinem Lieblingsspielplatz,
dem Internet.
Dort erlebte Computerfreak Minton, wie rabiat die Scientology-Führung
selbst auf dem virtuellen Schlachtfeld gegen ihre Kritiker vorgeht: mit
Drohungen, Hausdurchsuchungen wegen angeblicher Copyright-Verletzungen
und kostspieligen Prozessen gegen Aussteiger, die peinliche Interna aus
dem Innenleben der Sekte per Internet verbreiten.
"Ich dachte mir, wir leben doch in einem freien Land. Wer schützt eigentlich
unsere Meinungsfreiheit?" erinnert sich Bob Minton. Weil Scientology
in den USA als Kirche anerkannt und deshalb weitgehend geschützt ist vor
verdeckten Polizeiermittlungen, beschloß der Millionär auf eigene Faust,
für "ein bißchen mehr Chancengleichheit" zu sorgen. Fast drei Millionen
Mark gab er bisher für seinen Kreuzzug aus. Schecks für "ein paar hunderttausend
Dollar mehr" liegen angeblich bereit.
Der Robin Hood der Kultgegner unterstützt mittlerweile ein Dutzend Scientology-Aussteiger,
die nach jahrelangen Auseinandersetzungen mit der Sekte nervlich und finanziell
am Ende sind. Für zwei hochrangige Ex-Scientologen, Stacy und Vaughn Young,
kaufte Bob Minton kurz entschlossen ein Haus auf einer Insel im Nordwesten
der USA, damit das Ehepaar endlich Ruhe hat vor den Nachstellungen der
Sekte. Das sollte eine Fluchtburg für eine halbe Million Mark sein, über
4000 Kilometer von Clearwater entfernt - aber offenbar nicht weit genug.
Anonyme Flugblätter warnen inzwischen auch die neuen Inselnachbarn der
Youngs vor den angeblich "gemeingefährlichen Aktivitäten" der Scientology-Aussteiger.
Von der Materialschlacht gegen die reiche Sekte schaltet Bob Minton mühelos
um auf feindosierte Vorstöße in die Hallen internationaler Diplomatie:
Zum Dinner in New York traf er sich mit Abdelfattah Amor, der im Auftrag
der Uno den Dauervorwürfen der Scientologen nachging und "religiöse
Intoleranz und Diskriminierung" in Deutschland untersuchte.
Mintons Intervention schadete den Sektengegnern zumindest nicht. In seinem
kürzlich vorgelegten Abschlußbericht bezeichnete der Diplomat den Scientology-Vorwurf,
in Deutschland werde die Sekte mit Nazi-Methoden verfolgt, als "sinnlos
und kindisch". Getreu dem simplen Freund-Feind-Schema des verstorbenen
Sektengründers Ron Hubbard, kann Bob Mintons Vorstoß in die Weltpolitik
nur eines bedeuten: Der Mann muß Agent der Bundesregierung sein.
Nirgendwo aber fürchtet die Sekte den langen Atem und die tiefen Taschen
des Millionärs so sehr wie auf dem bevorzugten Schlachtfeld der Sekte:
in Amerikas Gerichtssälen.
Wo die aggressiven Scientology-Anwälte bisher durch ihre schiere Zahl
und eine scheinbar unerschöpfliche Kriegskasse einschüchtern konnten, sorgt
Bob Minton jetzt tatsächlich für ein bißchen mehr Waffengleichheit. Seine
Schecks helfen Ex-Scientologen, die über ihre schmerzlichen Erfahrungen
berichten und nach dem Regelbuch der "Kirche" mundtot gemacht werden
sollen.
Die größte Sünde in den Augen der Scientologen sind die über 200000 Mark,
die Bob Minton bisher an Kennan Dendars kleine Anwaltspraxis in Clearwater
überwiesen hat. Mr. Dendar verklagt die Sekte auf 144 Millionen Mark Schadensersatz
im Zusammenhang mit dem Tod eines Scientology-Mitglieds, Lisa McPherson.
Die 36jährige Frau starb vor zwei Jahren unter noch ungeklärten Umständen
nach einer siebzehntägigen "Beobachtung" durch Sektenmitglieder in
Clearwaters "Fort-Harrison-Hotel".
Aufzeichnungen von Scientologen, die zu ihrer "Beobachtung" abgestellt
waren, beweisen, daß Lisa McPherson sich im Zustand geistiger Verwirrung
immer wieder weigerte, Nahrung und Wasser zu sich zu nehmen. Erst am siebzehnten
Tag brachten Scientologen sie in ein Krankenhaus, wo sie kurz darauf starb.
Der Obduktionsbericht nennt als Todesursache ausdrücklich ein Blutgerinnsel,
ausgelöst durch "überlange Bettruhe und starken Flüssigkeitsentzug".
Clearwaters Staatsanwalt prüft noch, ob sich Scientologen vor Gericht verantworten
müssen.
Der Fall McPherson
Der Tod Lisa McPhersons ist längst zu einem Alptraum für die
Sekte geworden, die sich in den USA so gerne als wohltätige und allenfalls
mißverstandene "religiöse Philosophie" präsentiert. Deshalb taucht
Bob Minton ganz bewußt immer wieder vor dem ehemaligen Fort-Harrison-Hotel
in Clearwater auf, wo die junge Frau ihre letzten Tage durchlitt. Meist
wartet dort schon Brian Anderson auf ihn. Der Sprecher der Clearwater-Scientologen
vergleicht Bob Minton im Gespräch mit deutschen Reportern gerne mit einem
"Nazi, der antijüdische Organisationen finanziert".
Amerikanische Medien, die seit Jahren aus Desinteresse oder aus Angst
vor den klagefreudigen Anwälten der Sekte keine Scientology-Story mehr
angefaßt haben, kommen an dem Fall Lisa McPherson nicht vorbei. Die "New
York Times", das "Wall Street Journal" und mehrere große Fernsehsender
berichten in diesen Tagen wieder kritisch über die Machenschaften der Sekte
und über den Mann, der sie so mutig bekämpft.
Langer Arm in der Karibik
Mut braucht Bob Minton in dieser Kraftprobe, denn inzwischen
bekommen auch der Millionär und seine Familie den Zorn der Scientologen
zu spüren. Vor dem Stadthaus der Mintons auf Bostons vornehmem Beacon Hill
demonstrieren Scientology-Mitglieder. Bei einer Geburtstagsparty für eine
der Minton-Töchter drückten sie Gästen beleidigende Flugblätter mit Bob
Mintons Foto in die Hand.
Privatdetektive suchen im Auftrag der Scientologen bei Mintons Verwandten
und Geschäftspartnern nach belastendem Material. Selbst den Weg zum einsam
gelegenen Landhaus der Familie in den Wäldern New Hampshires fand ein Schnüffler,
der den Dorfpolizisten im Namen der "Kirche" über den Millionär ausfragte.
Wieviel Geld die Scientologen für die Bekämpfung ihrer Gegner ausgeben
und wie weit der Arm der Sekte reicht, erlebten die Mintons vor drei Wochen
bei einem Karibikurlaub: Bei der Rückkehr vom Strand fanden sie an Autos
und Bäumen der Uferpromenade Flugblätter, die Bob Minton beschuldigten,
"Haß und Intoleranz" zu finanzieren.
Solche Vergeltungsschläge bestärken Bob Minton nur in seinem Entschluß,
seinen Kampf gegen Scientology fortzusetzen - egal wieviel Kraft, Nerven
und Geld ihn dieser Kreuzzug kosten wird.
Der Autor ist Sat-1-Amerikakorrespondent.